Barrierefreiheit im Web

Pflicht oder Kür? Barrierefreiheit ist lange kein Nischenthema mehr – nicht zuletzt durch die gesetzliche Verpflichtung des sogenannten Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BFSG), das am 28. Juni 2025 in Kraft tritt.

Mit der neuen Gesetzgebung kommt die oftmals längst überfällige Frage auf »Ist unsere Website ›Web Content Accessibility Guidelines‹ (WCAG) konform?«. Was dabei nicht selten vergessen wird: Viele Maßnahmen verbessern auch die Benutzerfreundlichkeit für alle Nutzer:innen, nicht nur für Menschen mit Behinderungen.

Eins vorweg: Auch wenn mit der neuen Gesetzesregelung nach den öffentlichen Stellen nun auch immer mehr Unternehmen der Privatwirtschaft in die Pflicht genommen werden, sich mit der eingesetzten Technik, dem Design und den redaktionellen Inhalten in Sachen Barrierefreiheit auseinanderzusetzen, eine generelle Pflicht zur Barrierefreiheit im Web gibt es noch nicht. Die Gesetzgebung wer betroffen ist, ist an dieser Stelle recht umfassend formuliert.

Nichts desto trotz, das ›Race 2 Accessibility‹ hat längst begonnen, und das ist auch gut so. Nur weil man gesetzlich nicht verpflichtet ist, kann es dennoch sinnvoll sein, sich mit dieser Thematik beim Erstellen neuer Websites auseinanderzusetzen. Und zwar nicht ›nur‹ aus ethischen Gründen und der Schaffung sozialer Gerechtigkeit auch im Web. Denn die unsichtbaren Hürden, die eine Website für manche Menschen darstellt, erschweren immer größer werdenden Gruppen den Zugang zum eigenen Angebot und damit zur Marke oder auch zum Unternehmen. Darunter leidet nicht nur der Absatzmarkt, sondern auch die Reputation. Die Europäische Blindenunion, ein Verband der sich für die Interessen sehbehinderter Menschen einsetzt, schätzt, dass alleine in Europa 30 Millionen sehbehinderte Menschen leben. Offizielle Zahlen sprechen von 25 bis 30 Prozent aller Kund:innen, die eigentlich eine barrierefreie Anpassung von Websites benötigen. Dazu kommt noch eine Dunkelziffer derjenigen, die sich nicht mit ihrer Behinderung registrieren lassen. Barrierearmes Webdesign betrifft also nicht ›nur‹ Menschen mit Behinderungen, sondern beispielsweise auch ältere Menschen mit z. B. abnehmender Sehkraft. In diesem Sinne ist die Gestaltung einer barrierearmen Website, im Sinne des demografischen Wandels, eine Investition in die Zielgruppenerweiterung und dient als Zukunftssicherung.

Nicht zuletzt sprechen selbstverständlich auch ideelle Gründe für eine möglichst barrierearme Ausrichtung der Website. Letztendlich ist, solange man nicht verpflichtet ist, der Blick auf die Zielgruppe und das zu verkaufende Produkt oder angebotenen Service das ausschlaggebende Argument, welcher Fokus auf dem Konzept und der Gestaltung der Seite liegt. Manche Websites sind ihrem Service her quasi verpflichtet, blinkend, fancy und überfrachtet zu wirken oder eine bestimmte Corporate Language statt einfacher Sprache zu verwenden. Aber es ist ein schmaler Grad. Modernes Design spielt dabei durchaus auch der Barrierearmut in die Karten – denken wir an viel Weißraum, große Schrift und vor allem eine gut strukturierte Informationsarchitektur und Usability. Schaut man sich z. B. den Userflow einer Website oder eines Services an, kann man die Journey accessible gestalten. Gleichzeitig stellt sich die Frage nach dem Customer Erlebnis beim Besuch der Seite. Eine falsche Beschriftung des Formularfeldes kann schon dazu führen, dass ein Kauf nicht abgeschlossen werden kann. Der Screenreader übermittelt die hinterlegte Betitelung ›Feld‹ anstatt ›Vorname‹ oder ›Nachname‹ und zurück bleibt ein:e verlorene:r oder enttäuschte:r Kund:in und statt eines verkauften Produktes. Ein weiteres Argument für barrierearmes Webdesign ist, dass zugleich die Auffindbarkeit in Suchmaschinen verbessert wird. Diese höhere Compliance wird von den Suchmaschinen also mit einem verbessertem SEO-Ranking belohnt. Dass Design und Customer Journey alleine keine Barrierefreiheit ermöglichen ist klar, aber sie trägt maßgeblich dazu bei. Grundsätzlich kann man aber mit dem Fokus auf ein barrierearmes Design schon einiges schaffen. Denken wir an eine korrekte Textarchitektur von den Headlines bis zum Fließtext sowie lesefreundlichen Schriftgrößen, den Umgang und die Betitelung von Buttons, die Farbwelt mit ausreichenden Kontrastverhältnissen, den bedachten Einsatz von Bewegtbild oder Animationen sowie die Grundstruktur und den Aufbau der Seite.

Wesentlich mehr Maßnahmen müssten getroffen werden, um Websites zu größtmöglicher Barrierefreiheit zu verhelfen. Hat der:die User:in vielleicht eine gute Customer Journey, versteht aber am Ende die AGB nicht, oder ist die Journey anhand eines Angebotes gut durchdacht, aber nicht auf andere Angebote übertragen und damit am Ende doch unverständlich, eröffnet all das wieder Barrieren. Nicht zuletzt ist vor allem aber auch der korrekte Einsatz von HTML-Strukturelementen das A und O von barrierefreiem Webdesign. Komplette Barrieren wird dies leider auch nicht abbauen, weswegen wir persönlich, zur Vermeidung einer Irreführung, lieber von Barrierearmut, also von Barrierefreiheit sprechen. Nicht selten wird von Kund:innen der Wunsch nach einer barrierefreien Website geäußert. Dabei sollte man sich zunächst über Nutzen, Umfang und Budget Gedanken machen. Diese drei Faktoren beeinflussen sich nämlich gegenseitig. Nicht selten wir der Nutzen unterschätzt und eher aus einer Verpflichtung heraus gehandelt. Gilt diese dann vielleicht für den:die Kund:in doch nicht, kommt das Budget oder gar falsche Budgetentscheidungen ins Spiel, die ebenfalls Einfluss auf die mögliche Realisierbarkeit einer barrierearmen Umsetzung haben. Und am Ende hat der:die Kund:in selbst, insofern er:sie für die Inhalte zuständig ist, unterschätzt, wie viel Arbeit noch auf ihn:sie zukommt. Es werden an allen drei Faktoren Abstriche gemacht und in Sachen Barrierearmut ist final nur bedingt gewonnen. Angeboten werden auch zahlreiche sogenannte Accessibility-Overlays, die durch die Integration von Style-Switchern für eine bereits bestehenden Website Barrierefreiheit versprechen. Die Oberfläche wird also in barrierefreie Ansichten korrigiert. Oftmals bieten diese Korrekturmaßnahmen aber weniger als sie versprechen, sind nicht konform zu den Web Content Accessibility Guidelines oder funktionieren nur bedingt mit dem bestehenden Code. Für den Einsatz der mittlerweile zahlreichen technische Möglichkeiten und Tools, um Websites und Webservices barrierearm zu gestalten und damit die Zielgruppe zu vergrößern und die Marke zu stärken, bleibt die saubere Vorarbeit Voraussetzung. Die Beschäftigung mit dem Thema führt in jedem Fall auch zu einem Awareness-Training und Accessibility und Usability Themen fließen nicht selten auch in anderen Bereiche der Kommunikation mit ein. Das ist in jedem Fall eine Zugewinn. Denn wir stehen alle in der Verantwortung sozial gerecht zu handeln.